2. Die Entwicklung jüdischen Lebens im 19. Jahrhundert

In der hessen‑darmstädtischen Zeit von 1802 bis 1816 werden die Juden im Herzogtum Westfalen, die bisher keinen Familiennamen führten und auch ihre Geburten, Heiraten und Sterbefälle nicht zu melden brauchten, durch Verordnung dazu verpflichtet.

Seit 1804 begegnet uns dann auch der Familienname Ursel in Attendorn. Auch diese Familie wird, wie wir sehen werden, von der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie erfasst werden. In der im Jahre 1819 veröffentlichten Beschreibung des Regierungsbezirks Arnsberg werden für das Jahr 1817 in Attendorn 12, in Dünschede 8 und in Langenei 4 Juden aufgeführt. Diese Aufstellung ist aber lückenhaft. Seit 1798 nämlich war in Rhode auch der Jude Josef Salomon Ortmann ansässig, der 1838 86jährig verstarb und auf dem neu angelegten 150 qm großen jüdischen Friedhof auf dem mittleren Berg zwischen Rhode und Waukemicke beigesetzt wurde.

Im Jahr 1820 lebten im damaligen Kreis Olpe ‑ also ohne die heutige Gemeinde Finnentrop ‑ 99 Juden, davon einer als Händler, zugleich Ackerbau treibend, und 14 Hausierer. Elf Häuser waren in jüdischem Besitz.

Norbert Scheeles zusammenfassendem Bericht zur Geschichte der Juden in den „Heimatstimmen“ 1973 ist zu entnehmen, dass Juden im 19. Jahrhundert im Kreisgebiet in einer ansteigenden Zahl von Gemeinden heimisch wurden, obwohl sie auch unter preußischer Hoheit nicht die vollen staatsbürgerlichen Rechte genossen, sondern nur so genannte „Schutzverwandte“ waren, die eine eigene Korporation mit einem besoldeten Vorsteher und einem Rabbiner bildeten. Für den Schutz mussten die Juden bis zum Jahre 1832 ein einmaliges Schutzgeld von 1250 Reichstalern zahlen. Erst durch die preußische Landgemeinde‑Ordnung von 1841 wird ihnen das volle Gemeinde‑Bürgerrecht, das keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Christen macht, zugestanden.

Erst spät, im Jahre 1813, fassten in der Stadt Olpe Juden Fuß. Als erster ist hier der »Israelit« Abraham Stierstat als Metzger aufgeführt. Er handelte zudem mit „Ellenware“ und besaß von 1831 bis 1868 das Haus Westfälische Straße 55, das 1959 abgerissen wurde. In diesem Gebäude hat sich zeitweise auch ein jüdischer Betsaal befunden.

Einer Aufstellung aus dem Jahr 1853 ist zu entnehmen, dass neben dem Metzger Abraham Stierstat, seiner Frau Caroline, dem Sohn Emanuel und dem Knecht Liebmann Meyer noch der 62 Jahre alte Handelsmann Moses Lenneberg mit seiner Frau Fanny Engel und der Magd Bela Oppenheim sowie die Familie Metzger Samuel Goldschmidt mit Frau Sophie geb. Lenneberg und 3 Kindern in der Stadt Olpe wohnten.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Juden ebenfalls in Neuenkleusheim angesiedelt. Dort hatten sie eine eigene Synagoge und einen Friedhof am Eichhagen.

1824 führt Schultheiß Heuel für Neuenkleusheim die Familien Fischbach, Oppenheim, Stein und Wirzburg mit insgesamt 21 Personen auf.

Ein Mitglied dieser Gemeinde, Abraham Oppenheim, konvertierte später zum katholischen Glauben und nannte sich von nun an Franz Oppenheim.

Die Nachfahren in Kirchhundem hat der Schritt ihres Groß‑ bzw. Urgroßvaters nicht vor den Verfolgungen der Nazis bewahrt.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat sich die Gemeinde in Neuenkleusheim, zu der 1843 40 Personen zählten, durch Wegzug der Mitglieder aufgelöst.

Einziger Nachweis eines Juden in Drolshagen ist eine Erwähnung im 18. Jahrhundert, als der dortige Pfarrer ein Messgewand bei dem Drolshagener Juden Isaak Peters kauft und es der Brachtper Kapelle zum Geschenk macht. Weitere Nachrichten fehlen.

In Altenhundem und Elspe sind Juden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zugewandert. Über ihr Schicksal wird später eingehend berichtet.

Auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Finnentrop, die erst 1969 zum Kreis Olpe gelangt ist, befand sich eine der ältesten Judengemeinden Westfalens. Es war dies die bis etwa 1900 existierende, um 1760 gegründete Synagogengemeinde Lenhausen. Zur Synagogengemeinde zählten die Juden der Bürgermeistereien Serkenrode, Schmallenberg, Eslohe, Fredeburg im damaligen Kreis Meschede sowie der gesamte Kreis Olpe.

Im Jahr 1821 sind in Lenhausen die Familien Hermann Lenneberg, Salomon Neheimer, Levy Kleine, Witwe Stirstatt, Isaak Lenneberg, Jacob Meyer, Meyer Löwenthal, Aron Böheimer und Selig Frank ansässig.

Ihre Zahl erhöht sich im Jahr 1846 auf 52 Personen. Aus dieser Gemeinde stammt auch der am 2. Mai 1782 geborene Alexander Hirsch, der sich später Haindorf nannte. Er hat sich als Arzt, Pädagoge, Schriftsteller und Kunstmaler einen Namen gemacht, besonders aber durch die von ihm in Münster mitbegründete »Marks‑Haindorf‑Stiftung zur Bildung von Elementarlehrern (Volksschullehrern) und Beförderung von Handwerken und Künsten unter den Juden.

Der 35. Jahresbericht der Stiftung aus dem Jahr 1890 ist erhalten geblieben. In ihm sind die Namen von Förderern der Stiftung und ihre Spenden für die Zeit vom 1. April 1888 bis 1. April 1890 angegeben. Aus dem Kreis Olpe waren an jüdischen Spendern verzeichnet:

Die Familien:                 A. A. Ursell                                                                                Attendorn          3,00DM

                                    Rafael Lenneberg                                                                        Attendorn          1,50DM

                                    Jos.Cohn                                                                                       Attendorn        1,00DM

                                    A. Böheimer                                                                                 Attendorn          l,00DM

                                    Mos. Gutmann                                                                              Attendorn         0,75DM

                                    Isaak Lenneberg                                                                                   Olpe         1,50DM

                                    Levy Emanuel                                                                                       Olpe         1,00DM

 

Als Anfang dieses Jahrhunderts die Juden von Lenhausen abgewandert sind, ist die dortige Synagoge verfallen und 1915 abgerissen worden. Die Juden des Kreises Olpe trafen sich seitdem im Gebetshaus in der „Breiten Techt“ in Attendorn, das sich im Besitz der Familie Cohn befand. Dieses Gebäude ist unverständlicherweise noch 1986 abgerissen worden, bevor der Verein für Orts‑ und Heimatkunde Attendorn einschreiten konnte.

Neben den vorher genannten Juden war im 19. Jahrhundert in Oedingen von etwa 1800 bis 1850 die Familie Löwenstein mit 10 Kindern ansässig. In Oedingen wird 1826 ein Bethaus der Juden erwähnt, „dieses ist ein bloßes Zimmer, was zum Bethaus gebraucht wird“.

In Langenei ist außerdem eine Familie Aron Neubauer von 1822 bis 1854 nachweisbar. Hier befindet sich in der Nähe des katholischen Friedhofs eine jüdische Begräbnisstätte, die bis etwa 1930 auch von Altenhundemer Juden genutzt worden ist.

Ergänzend lässt sich zur Geschichte der Juden im 19. Jahrhundert sagen, dass dieses für sie eine Zeit war, in der sie um die Durchsetzung ihrer lediglich auf dem Papier zugesagten Rechte bemüht waren.

Sie ‑ das waren jedoch nicht Juden als geschlossene soziale Gruppe. Denn eine solche Vereinigung gab es nicht und war vom preußischen Staat auch nicht erwünscht.

Sie waren also in keiner Weise organisiert. Das entsprach auch ihrer Mentalität, die vom Historiker Bernhard Brilling als „im Einklang mit der Haltung der westfälischen Bevölkerung konservativ“ bezeichnet wird. Es gab auch kaum Akademiker unter ihnen. Aus dem Sauerland sind bekannt der in Brilon geborene Drucker und Verleger Meyer Friedländer. Er gab seit 1842 den „Sauerländischen Anzeiger“ in seinem Heimatort heraus. Des weiteren der bereits genannte Prof. Dr. Alexander Haindorf aus Lenhausen, der als Professor an der Universität Münster und als Mitbegründer des Westfälischen Kunstvereins sowie mit der Marks‑Haindorf‑Stiftung den Kampf um die Gleichberechtigung aufnahm.

Bis kurz vor 1900 gelang es praktisch keinem Juden in Westfalen, Beamter zu werden, auch der Militärdienst blieb ihnen verwehrt, daher war die Mehrzahl von ihnen (72%) im Handel und Handwerk tätig.

 

Zurück zur Startseite