5. Einschränkung des jüdischen Lebens

Ebenfalls in dieser Phase begannen die Nationalsozialisten per Gesetz die Juden in ihrer Religionsausübung zu behindern und ihr religiöses Leben zu bespitzeln.

Am 21. April 1933 wurde ein Gesetz erlassen, dass das Schlachten nach jüdischem Ritus, das so genannte „Schächten“, verbot.

Im Jahr darauf begann die systematische Bespitzelung der Juden, die bis in die Synagogen reichte. Im Februar 1934 wurden alle Landräte und Ortspolizeibehörden im Bezirk der Staatspolizeistelle Dortmund angewiesen, »Bericht über alle bedeutsamen Erscheinungen innerhalb des Judentums auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet« zu liefern. Die abgelieferten Berichte ergaben keine „besonderen Erscheinungen“. Nicht mit aufgeführt wurde die Neuwahl des Vorstandes und der Repräsentanten der Synagogengemeinde Lenhausen, mit Untergemeinden in Attendorn und Schmallenberg, die im Februar 1934 stattfand und die letzte in der Geschichte der Gemeinde blieb. Auslandsreisen von Juden und deren Angestellten wurden von örtlichen Partei‑ und Verwaltungsstellen ebenfalls überwacht. So berichtet der Attendorner Bürgermeister, dass die Buchhalterin des jüdischen Kaufmanns Alfred Cohn häufig Auslandsreisen unternehme. Die Angaben des mit der Ermittlung in dieser Angelegenheit beauftragten Polizeibeamten stützten sich auf Aussagen von Angestellten der Fa. Cohn, denen er versprochen habe, dass ihr Name nicht genannt werde. Er gibt an, fragliche Angestellte würden, falls sie in die Angelegenheit verwickelt würden, ihren Arbeitsplatz verlieren.

Abschließend ist dem Protokoll hinzugefügt, „dass die besagte Buchhalterin und der Jude Cohn von den hiesigen Polizeibeamten nach wie vor in unauffälliger Weise scharf überwacht werden“.

Kurz vor der Verabschiedung der antisemitischen Nürnberger Rassegesetze sorgte im August 1935 in der Stadt Olpe das Gerücht, dass die Inhaber der Firma Lenneberg intime Beziehungen zu zweien ihrer Angestellten unterhielten, für viel Aufregung. Nach umfangreichen Befragungen verlief die Sache schließlich im Sande. Ein 17jähriger Hitlerjunge hatte Bruchstücke eines Gespräches aufgeschnappt und war damit zur Polizei gelaufen, um die jüdischen Geschäftsinhaber wegen so genannter „Rassenschande“ zu denunzieren.

Einen Monat später ließ Hitler am 15.9.1935 auf dem so genannten "Reichsparteitag der Freiheit" die Nürnberger Gesetze verkünden. Hierbei handelte es sich um zwei Rassegesetze, die gleichsam das Grundgesetz der anschließenden systematischen Verfolgung der Juden bildeten. Dem nun erlassenen „Reichsbürgergesetz“ zufolge gehörten die Juden nicht mehr zu den Reichsbürgern, sondern waren „Staatsangerhörige“ und von daher Sonderregelungen unterworfen. Das zweite Gesetz des Nürnberger Parteitages, das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, verbot u. a. Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen „deutschen oder artverwandten Blutes“ und stellte sie unter hohe Strafen. Daneben war es der jüdischen Bevölkerung untersagt, weibliche Staatsangehörige „deutschen oder artverwandten Blutes“ unter 45 Jahren in ihrem Haushalt zu beschäftigen. Die in der Folgezeit erlassenen Gesetze drängten den jüdischen Bevölkerungsteil immer mehr in eine juristische, soziale und schließlich auch allgemein menschliche Sonderstellung und Isolierung. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges wurden weit über 1000 antijüdische Maßnahmen verkündet.

Wohl angeregt durch einen Ministerialerlass vom 15. Januar 1935 sahen sich auch zwei Schulmänner, der Olper Schulrat Braun und Studienrat Günther von der staatlichen Aufbauschule Olpe, der gleichzeitig als NSDAP Kreisbeauftragter für Rassenfragen im NS‑Lehrerbund zuständig war, veranlasst, einen Unterrichtsplan für Volksschulen in Erbbiologie und Rassenkunde zu veröffentlichen. Das Heft erschien im Frühjahr 1936. Man beruft sich im ersten Kapitel auf ein Wort des Führers aus „Mein Kampf“. Ich zitiere: „Die gesamte Bildungs‑ und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt‑ und verstandesgemäß in Herz und Hirn der ihr anvertrauten Jugend hinein brennt. Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis der Blutreinheit geführt worden zu sein.“

Das Hauptziel der Nationalsozialisten, die Rassentrennung, wurde auch im Kreis Olpe gravierend spürbar. Die Nürnberger Gesetze begannen, auch das Leben der hier lebenden Juden zu bestimmen. Mit diesen Maßnahmen sollten aber auch gleichzeitig „rassig Minderwertige“, wie z. B. Zigeuner, Asoziale sowie geistig und körperlich Behinderte etc., „ausgemerzt“ werden. Die Gesetze zeigten schon nach kurzer Zeit ihre Wirkung, was einem Schreiben des jüdischen Central‑Vereins, Landesverband Rheinland‑Westfalen an den Olper Landrat Evers vom 10. Oktober 1935 zu entnehmen ist:

 „Wir gestatten uns, dem Herrn Landrat Folgendes zu unterbreiten:

In Olpe ist in der Kölner Straße quer über diese ein judenfeindliches Transparent angebracht.

In Altenhundem und Meggen hängen Transparente mit den Aufschriften „Judenfreund unser Unglück“ und „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter“. Eines dieser Transparente, welches beide Aufschriften trägt, hängt in nächster Nähe eines jüdischen Geschäftes.

In Meggen hat sogar in dem so genanten Stürmer‑Kasten ein Aushang mit zahlreichen Namen von Personen, die in jüdischen Geschäften gekauft haben und die als Volksverräter bezeichnet sind, gehangen. Dieser Aushang ist inzwischen entfernt worden. Es soll jedoch angeblich von einem gewissen Herrn L. erklärt worden sein, wenn nur noch Leute von der Kampstraße und Auf'm Ohl vom Juden kauften, würden ihre Namen ebenfalls auf 8 Tage ausgehängt werden. Sollte diese Drohung erfolgt sein, so würde dies naturgemäß eine mindestens ebenso starke Wirkung wie der Aushang selbst haben.

Wir bitten unter Bezugnahme auf den bekannten Standpunkt der Reichsregierung über die Stellung der Nichtarier in der Wirtschaft und die wiederholten Verbote von Einzelaktionen um alsbaldige Abstellung.“

Von den Ortsbürgermeistern veranlasste Nachforschungen bestätigten die Behauptungen des „Central‑Vereins“; alle Pamphlete waren auf Veranlassung der jeweiligen Ortsgruppenleitung der „Deutschen Arbeitsfront“ aufgehängt worden.

 

Mitteilung des Amtsbürgermeisters von Kirchhundem als Ortspolizeibehörde an den Amtsbürgermeister in Bilstein

vom 21. Oktober 1935 über ein antijüdisches Transparent in Altenhundem

 

Auch der Aushang im Meggener »Stürmerkasten«, in dem eine Reihe von Personen aus Maumke angeprangert worden waren, war vom Obmann der Deutschen Arbeitsfront vorgenommen worden.

Weiter ging es mit noch schärferen Aktionen. In Attendorn wurden in der Nacht zum 10. Oktober 1935 zwei große Schaufensterscheiben des Kaufhauses Lenneberg, dessen Inhaber der Kaufmann Hermann Stern war, von einem angetrunkenen 42jährigen SA‑Mann, der sich in der späteren Vernehmung selber „als der älteste Kämpfer der NSDAP hier am Platze“ bezeichnete, mit Steinen eingeworfen.

Das Verfahren wurde mangels Beweisen ergebnislos eingestellt. Der Beschuldigte wurde am 17. Januar 1936 vom Amtsgericht Attendorn freigesprochen.

Im März 1936 wird eine 29jährige Hausangestellte der Wwe. Ursell in Attendorn, zu deren Haushalt die beiden 15‑ und 10jährigen Söhne der Witwe zählten, dazu gedrängt, die Stellung aufzugeben.

Im September des gleichen Jahres sollen auf Anordnung von Landrat Evers von den Bürgermeistern des Kreises die Juden bzw. ihre Tätigkeiten (insbesondere politischer Art) planmäßig erfasst werden.

Aus Attendorn, wo fünf jüdische Familien leben, wird nichts Negatives berichtet.

Aus Stadt und Amt Olpe wird gemeldet, dass die ansässigen Juden dem Verband jüdischer Frontkämpfer sowie einer jüdischen Vereinigung "CV" angehören (CV = Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens).

Aus dem Amt Bilstein lautet der Bericht wie folgt: „Im hiesigen Bezirk gibt es drei jüdische weibliche Personen. Es sind dies die Geschwister Neheimer in Elspe. Sie sind alle schon ziemlich hoch betagt. Sie leben zurückgezogen und in ärmlichen Verhältnissen. Um die Außenwelt, insbesondere um politische und wirtschaftliche Fragen kümmern sie sich nicht.“

Aus dem Amt Kirchhundem, wo in Altenhundem die Familien Neuhaus und Winter leben, wird ebenfalls nichts Negatives berichtet.

Zur gleichen Zeit wird ein Grevenbrücker Gastwirt in der NS‑Kampfschrift „Der Stürmer“ namentlich angeschwärzt, weil er 80 Pfd. Fleisch von dem Juden Aaron Neuhaus bezogen habe. Es heißt darin weiter: Die Bevölkerung des Ortes freue sich, dass Grevenbrück und das gesamte Veischedetal frei von Juden sei, nur dieser Hundertzehnprozentige, der so viele Ehrenposten bekleide, unterlaufe diese Entwicklung durch Einkäufe beim Juden.

 

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