„Und der Zylinder des Herrn Direktor hing oben im Baum...“
Attendorn. (ag)
Mit so genannten „Stolpersteinen“, die vor Häusern in
den Boden eingelassen werden, in denen vertriebene und ermordete Attendorner
Juden einst gelebt haben, soll vielleicht schon bald sichtbar an das finsterste
Stück deutscher Geschichte erinnert werden. Was einst – auch in Attendorn
– vor den Augen aller geschah, ist lange her, und doch leben auch heute
noch Augenzeugen, die nicht nur die berüchtigte „Reichskristallnacht“ im
November 1938 miterlebt haben. Es gibt sogar noch friedliche Erinnerungen,
an die Menschen hinter den Schicksalen, denen als einst angesehene Attendorner
Bürger später so viel Unrecht geschehen sollte.
So erinnert sich Josef Hormes
noch an die Beerdigung des Edmund Cohn auf dem Jüdischen Friedhof im Mai
1928, der letzten ungestörten Bestattung vor der Machterschleichung der
Nazis. Der Rabbi stand am offenen Grabe und rief: „Grüß mir unseren Vater
Abraham!“ und rundherum ging der Ruf der versammelten jüdischen Gemeinde
Attendorns: „Mir auch! Mir auch! Mir auch!“
Gisela Biland-Ortmann war Lehrmädchen im Büro der jüdischen
Unternehmerfamilie Ursell, wo ihr Vater bereits als Lohnbuchhalter angestellt
war. Noch heute befindet sich eine Taschenuhr mit Widmung im Familienbesitz,
die Julius Ursell einst ihrem Vater geschenkt hatte. „Der Herr Direktor
war schon verstorben, aber seine Frau Else führte für ihre Kinder die Geschäfte
weiter. Ich brachte ihr immer die Postmappe zum Abzeichnen in die schöne
Villa an der Kölner Straße. Das war eine sehr nette, dabei eindrucksvolle
Persönlichkeit, die morgens immer schon ganz früh in der Firma war.“ Aber
da, um 1936, war die Drangsal bereits arg zu spüren. „Herbert, der kleine
Sohn, wollte dann immer mit mir balgen, wenn ich kam. Der durfte ja nicht
mehr mit deutschen Kindern spielen.“
Sein größerer Bruder Günther wurde
von den Nazis gar gezwungen, als Gärtner zu arbeiten. „Und dann kamen die
Ausschreitungen. Morgens sah ich die zerschlagenen Fenster, und oben im
Baum hing der Zylinder des Herrn Direktor. Unten stand das Auto eines bekannten
Nazis, eine Frau dabei, die eine schöne Vase mit ägyptischen Köpfen in den
Händen hielt.“
Auch Hubert Mücher hat die verwüstete Villa Ursell gesehen,
als er am Nachmittag von der Drogistenschule kam. „Mit Äxten hatte man die
ganze Marmortreppe zerschlagen, von oben bis unten.“ Seine spätere Frau,
Josefine Reg'n, hat vor ihrem Tode noch von ihren Erlebnissen in der Innenstadt
berichtet. Sie war Auszubildende im jüdischen Kaufhaus Stern-Lenneberg,
dem ersten Haus am Platze. Eilig hatte sie ein Schild malen müssen, auf
dem stand: „Dieses Geschäft ist soeben in arische Hände übergegangen“. Die
Besitzer hatten ihr Lebenswerk verschleudern müssen, pünktlich, um ihrem
Geschäft die eingeworfenen Fenster zu ersparen. 67 Jahre sind seither vergangen.
Eine gute Idee ist das, ein paar schlichte Messingplatten im Boden vor den
Häusern einzulassen. Dann
bleiben wenigstens die Namen von denen, die in den Vernichtungslagern ermordet
wurden. Die nette, eindrucksvolle Direktorin Else Ursell mit ihren Kindern
war auch darunter.
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