3) Flucht in die Felsen der Stadt

Am 24. Februar 1944 fand im Olper Rathaus eine Besprechung über den Luftschutzstollenbau im Kreise Olpe statt, zu der Kreisleiter Neuser die maßgebenden Behördenleiter geladen hatte. Seit 1943 war Kreiskulturbaumeister Josef Schulte technischer Beauftragter für Luftschutzbauten im Kreisgebiet. Dieser legte anhand aufgestellter Nivellements die Linienführung der in Olpe zu bauenden Hangstollen fest. Die Bauarbeiten begannen, nachdem Gelder und Baumaterial bewilligt waren, durchweg im Spätsommer 1944. Sprengstoff war sehr schwer zu beschaffen. Bohrmaschinen, Kipploren und Schienenanlagen mussten "organisiert" werden. Sie wurden von der Grube in Meggen (Sachtleben AG) entliehen oder an Baustellen beschlagnahmt. Als Fachleute für die Bohr‑ und Schießarbeiten arbeiteten Meggener Bergleute, die durch eine Anzahl russischer Kriegsgefangener aus Olper Fabriken unterstützt wurden. Eine geologische Untersuchung im November ergab, dass in den meisten Füllen das Deckgestein aus weichem, manchmal kalkhaltigem Schiefer bestand. Es fehlte demnach ein unzerklüfteter Grauwackefelsen, der mit neun Metern Oberdeckung sicheren Schutz vor jedem Bombeneinschlag geboten hätte.

Im Februar und März1945 wurde mit Hochdruck in Zwei‑Tages‑ Schichten gearbeitet und die Stollengänge durchschnittlich drei Meter pro Tag vorangetrieben. Unter dem Druck der Verhältnisse brachen die Arbeiten gegen Ende März ab. Zurück blieben sieben unfertige Bauten, in denen trotz der fehlenden letzten Sicherheit zahlreiche Menschen ihren festen Aufenthalt nahmen. Olper Schreiner zimmerten im Auftrag der Stadtverwaltung Lattenbänke, Fußroste und Stollentüren. Die Abflussleitungen für das sickernde Bergwasser wurden verbessert elektrisches Licht (als Ersatz dienten Karbidlampen) und Heizungen installiert, der Stollenboden mit Splitt beworfen und provisorische Aborte vor den Stollen eingerichtet. Die Stollengänge waren durchweg etwa 2,50 m hoch und 2 m breit.

Mit einem Kostenaufwand von rund 340000 RM waren 10 LS‑Hangstollen gebaut worden, mit einer Gesamtlänge von etwa 1 100 m und einem Schutz­raum für ungefähr 1 800 Personen. Nach Kriegsschluss wurden auf Befehl der Militärregierung bei sechs Stollen die Eingänge vermauert und bei den übri­gen vier gesprengt oder zugeschüttet. Die erneute Nutzbarmachung hätte nach einer Schätzung von 1952 etwa 205000 DM gekostet

Stollen 1: Im Weiherohl mit zwei Stollengängen, der erste beim Südturm, der zweite beim Hexenturm. Die Gänge sollten miteinander verbunden werden. Dem zweiten Gang am Hexenturm wurde ein Stollen von der Agathastraße Ecke Imbergstraße entgegengetrieben. Für den Stollenarm am Südturm war ein Ausgang auf dem Marktplatz vorgesehen. Noch im März 1945 wurde im Weiherohl an einem Verbindungsweg von der St. Martinskirche am Mühlen­graben entlang zum Stolleneingang gebaut, der für Kirchenbesucher gedacht war. Der Stollengang enthielt eine gut verschlossene Kammer für Spreng­stoffe. Der andere Stollenarm am Hexenturm war durch eine stabile Beton­mauer am Eingang vor Splittern und Luftdruck geschützt. Der unvollendete Verbindungsstollen zum Südturm enthielt den Raum für Mutter und Kind, der mit Blechen gegen tropfende Feuchtigkeit isoliert war. In der Decke des Hauptganges in Richtung Agathastraße befand sich ein etwa 8 m langes Entlüftungsrohr, dessen Mundloch beim Hause Wacker, Frankfurter Straße 11, im Straßenpflaster lag. Im Hauptgang war an der rechten Seite ein etwa 10 qm großer Raum herausgesprengt, mit Blech ausgekleidet, mit Holzfußboden, Heizung, Licht und Telefon versehen worden. Es war der "Befehlsstand". Übrigens hatte man, wie die Skizze veranschaulicht, die Verbindung zum Rathaus von drei Stollen aus geplant. 1945 war Raum für 280 Personen

Stollen 2: Am Stötchen mit zwei Eingängen, von denen einer auf dem Grund­stück der Firma Köster & Co. liegt. Ein weiterer Eingang war in der Kurfürst­Heinrich‑Straße nahe der St. Franziskus‑Schule geplant. 1945 war Raum für 120 Personen.

Stollen 3: Unter der Seminarstraße mit zwei nicht verbundenen Eingängen, von denen einer am Sonnenhang, der andere am Rhoder Weg lag. 1945 war Raum für 200 Personen.

Stollen 4: In der Felmicke bei "Plümers Schlüppe" mit nur einem Eingang. Er sollte zum Stollen 1 beim Hexenturm stoßen. 1945 war Raum für 120 Personen.

Stollen 5: In der Felmicke neben dem Haus Nr. 51, in den Gallenberg gesprengt, vorgesehen war ein weiteres Mundloch am Eingang zur Rochusstraße und eine Verbindung zu Stollen 6. 1945 war Raum für 120 Personen.

Stollen 6: In der Sandstraße am Eingang zur Kortemicke unter dem Gallen­berg, ein zweiter Ausgang in Richtung Gartenstraße wurde nicht fertig. 1945 war Raum für 120 Personen.

Stollen 7: In der Biggestraße unterhalb der ersten Häuser hinter den Bahnschranken. Da der Stollen auch für Bahnreisende gedacht war, half die Reichsbahn durch Planungsunterlagen und Freistellung von Transportmitteln. Der geplante Eingang gegenüber der Kreuzkapelle kam nicht zustande. 1945 war Raum für 100 Personen.

Stollen 8: In der Wüste mit nur einem Eingang, ein ausgebauter alter Schieferstollen mit Raum für 80 Menschen.

Stollen 9: Im Bahnhofsgelände, am Fuße des Finkenhagens mit zwei Eingängen, bestimmt für Bahnpersonal und Reisende, Raum war für etwa 100 Personen.

Stollen 10: Am Fuße der Lindenhardt mit durchschnittlich 25 m Überdeckung, Eigentum der Firma Gustav Imhäuser. Wie Stollen 9 war er nicht mit Öffentlichen Mitteln, sondern durch so genannte Selbsthilfe, d. h. mit eigenen Leuten und Mitteln gebaut. Im Vergleich mit den übrigen Bunkern war er ein Musterbeispiel. Er war bereits seit 1941 im Bau gewesen und verlief in Hufeisenform mit zwei Mundlöchern, versehen mit Gasschleusen und splittersicheren Türen. Nebenräume wie Befehlsstand, Telefon‑ und Sanitätsraum sowie vier Toiletten vervollständigten die Einrichtung. 1945 war Raum für 550 Personen.

Neben den eingezeichneten Splitterschutzgraben entstand noch einer an der südöstlichen Ecke der Kreuzung Maria‑Theresia‑Straße und Bergstraße. Größere Privatbauten gab es u. a. bei der Fabrik Elmowa, in der Kampstraße bei Sondermann und bei Sollbach im Weiherohl. Die Bahnunterführung zwischen den Bahnsteigen 1 und 2 wurde provisorisch als Unterstand ausgebaut.

1) Olpe im 2. Weltkrieg 2) Als die Sirenen heulten 3) Flucht in die Felsen der Stadt 4) Bilanz des Schreckens
5) Frontabschnitt "Raum Olpe" 6) Eine Chronik dunkler Tage 7) Spurensuche 2004 by St. Kaiser